Ebba Hagenberg-Miliu (Hrsg.)
Unheiliger Berg.
Das Bonner Aloisiuskolleg der Jesuiten und die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals,
Verlag W. Kohlhammer 2014
ISBN 978-3-17-025130-4
288 Seiten
Preis: 29,90 EUR
Das Bonner Aloisiuskolleg (AKO) galt seit Jahrzehnten als Elite-Internatsschule der Jesuiten. Bundesweit schauten ganze Generationen von Kollegseltern und -schülern zu ihm auf, wie es da nicht nur für die Bonner auf dem „Heiligen Berg" lag.
Zahllose Fälle aus 60 AKO-Jahren
Dann schwappte im Januar 2010 der Missbrauchsskandal auch auf deutsche katholische Schulen über. Und mit ihm erlebte der "Heilige Berg" seine (nach dem Verbot durch die Nazis) ernsteste Bewährungsprobe. Das Kolleg und der Orden hatten sich mitsamt ihrer (inzwischen aufgelösten) Nachmittagseinrichtung AKO-PRO-Seminar der für alle Seiten schmerzlichen Aufklärung zahlloser mutmaßlicher Fälle aus 60 Jahren zu stellen.
Das vorliegende Buch ist 2014 aus meiner journalistischen Arbeit für den General-Anzeiger Bonn erwachsen. Seit Januar 2010 war ich zum Thema Berichterstatterin. Das
Buch "Unheiliger Berg" zog also im Frühjahr 2014 exemplarisch für das AKO und damit auch für andere Internatsschulen erstmals Bilanz.
Eine Fundgrube für alle, die zu Missbrauch arbeiten
Das Buch ist aber über die behandelten Bonner Fälle hinaus längst zu einem anerkannten Fachbuch zur Aufklärung und Aufarbeitung von Missbrauch geworden. Gerade, was Machtmissbrauch in Institutionen angeht, gilt der "Unheilige Berg" bundesweit als das erste Nachschlagwerk mit einzigartigen Originaltexten von Betroffenen vieler Generationen und Analysen aus den unterschiedlichsten Perspektiven.
Die Anklage lautete: Machtmissbrauch
Der Machtmissbrauch am AKO, innerhalb dessen mutmaßlicher sexueller Missbrauch und das Fotografieren nackter Schüler nur zwei Spielarten darstellen, wird in diesem Buch aus allen Perspektiven analysiert: von den Betroffenen und Angehörigen, dem Kolleg und Internat, von Vertretern des Ordens, von Stadt, Politik, Justiz und Opferschutz.
Als Herausgeberin habe ich bekannte Mitautoren gewonnen wie:
- Ex-Innenminister (und AKO-Altschüler) Thomas de Maizière,
- Matthias Katsch und Heiko Schnitzler, Opferverein Eckiger Tisch,
- den vormaligen AKO-Rektor und nachmalige Jesuitenprovinzial Pater Johannes Siebner (der 2020 verstarb),
- den jesuitischen Missbrauchsaufklärer Pater Klaus Mertes,
- den Schriftsteller Anselm Neft,
- den Schauspieler Miguel Abrantes Ostrowski,
- Berlins erzbischöflichen Kunstbeauftragten Pater Georg M. Roers,
- Bonns damalige Schuldezernentin Angelika Maria Wahrheit
- und den Hamburger Opferanwalt Rudolf von Bracken.
Die wichtigsten Mitautoren waren und sind aber die 13 Betroffenen bzw. ihre Angehörigen, gestandene Männer aus sechs Kollegsjahr-zehnten, die hier erstmals für die Öffentlichkeit Klartext redeten bzw. schrieben - und dabei immer ihre Würde behielten.
Die bisher einzige öffentliche Diskussion im Aloisiuskolleg zum Thema Missbrauch wurde 2015 von Schülern ! organisiert. Die Betroffenen sahen sich nicht ausreichend geschützt und mussten fehlen. Foto: R. Friese
Nach zehn Jahren: Ein neuer Leitfaden. Aber noch gibt es Wunden
Mit dem Buch wurde Hochbrisantes öffentlich. Die Karten wurden neu gemischt. Aber es wurden auch Perspektiven formuliert. Formen des Dialogs wurden gesucht – und im
Buch in Form eines Streitgesprächs zwischen AKO und Betroffenen exemplarisch gefunden. Klicken Sie sich durch die Themenpunkte.
Jahre sind inzwischen seit Ausbruch des Skandals vergangen. Auch auf Initiative dieses Buches wurde der wichtige Dialog zwischen Kolleg und Betroffenenverein begonnen, der einige Früchte brachte. Seit Mai 2017 ist er wieder ausgesetzt. Das ist zu beklagen. Denn das AKO hatte Ende 2016 endlich auch in seinem Kollegsjahrbuch eine Stellungnahme formuliert, die sich genau dieser weiteren Verantwortung stellt und die Rolle des vorliegenden Buches "Unheiliger Berg" im Prozess würdigt. 2019 gab das Kolleg einen zweiten erweiterten und lesenswerten "Leitfaden zur Prävention und Intervention bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche" heraus.
Doch es gibt noch Wunden. Fragen um Mitwisserschaft, Vertuschung, Verantwortung und Wiedergutmachung sind nicht endgültig gelöst, Themen, die das viel kritisierte Erzbistum Köln 2020/2021 für seine Fälle mit zwei Gutachten-Aufträgen anzupacken versuchte. Die Diskussion über diesen weiteren Schritt ist seither in allen Bistümern im Gang.
Wieder zurück zum Ako: Ist das Projekt Gedenkort auf dem Kollegsgelände aktuell begraben? Unter den Betroffenen gibt es weiterhin Suizidgefährdungen. Es gibt schwerstgeschädigte Opfer, die es auch nach Jahrzehnten nicht schaffen, ein eigenverantwortliches Leben zu führen, und die jegliches Vertrauen in andere verloren haben - es gibt aber in der Öffentlichkeit immer noch (oder schon wieder) Leugnen oder Relativieren. Die Aufarbeitung muss auch am Ako weitergehen.
"Me Too" und die Machtmissbrauch begünstigen Strukturen
In der Diskussion um Machtmissbrauch sind wir in unserer Gesellschaft seit 2010 aber auf jeden Fall weiter gekommen. Heute stehen die Gewalt begünstigenden Strukturen im Fokus. Das auch seit der internationalen "Me-too"-Debatte. Was genau also ermöglicht Machtmissbrauch? Ein Klima der Einschüchterung und psychischen Abwertung erleichtert es auf jeden Fall Tätern, sexualisierte Gewalt ohne Konsequenzen vorzubereiten und zu begehen. Nur eine Korrektur dieser Strukturen kann letztlich auch dem Phänomen vorbeugen, dass auch heute durchaus gut gesinnte Menschen Täter und ihre Mitwisser schützen.
Was waren und sind also die Mechanismen, die sexualisierte Gewalt fördern und Täter schützen? Denn das ist der Punkt: Nur wer seine Strukturen prüft und ein schlüssiges Präventionskonzept realisiert, der wappnet sich gegen zukünftigen Machtmissbrauch. Hier muss überall da, wo Macht missbraucht worden ist, weitergearbeitet werden.
Ebba Hagenberg-Miliu (Hrsg.)
Unheiliger Berg: Das Bonner Aloisiuskolleg der Jesuiten
und die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals
288 Seiten, kartoniert
ISBN 978-3-17-025130-4
Preis: EUR 29,90
Unheiliger Berg
Ein Sammelband zur Aufarbeitung von Machtmissbrauch an einer Internatsschule.
Kontakt: hagenberg_miliu@yahoo.de